26. Februar 2023
Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren
Mit „vergessenem Volk“ meine ich nicht irgendeinen wenig erforschten Stamm hinter den Bergen irgendwo in den abenteuerlichen Anden.
Wer sich die „neue“ Website des Kantons Schaffhausen ansieht, erahnt, dass das vergessene Volk die Schaffhauser Bevölkerung darstellt.
Noch immer gibt es erhebliche Mängel: So fehlen beispielsweise die Departemente (bis auf eines). Fehlende Departemente würde man in Bielefeld erwarten – aber in Schaffhausen?
Der Regierung und dem ganzen Mehrheits-Rest© der Politik scheint es egal zu sein, wie die eigene Bevölkerung zu denjenigen Informationen kommt, die sie zur Ausübung der staatsbürgerlichen Pflichten (oder für den ganz gewöhnlichen Alltag) benötigt.
Kei Luscht? Volk und Verwaltungsangestellte nicht wichtig? Kein Plan? - Könnte man nicht mal dann durchgehen lassen, wenn diese Website nichts kosten würde.
„Hat der Kanton Schaffhausen eigentlich auch Departemente?“
Würde eine Lehrkraft – mit oder ohne Diplom - seine Schulungsanbefohlenen© (hurra – ein Wort ohne *) heute danach fragen und ihnen zur Lösungsfindung einen Besuch von sh.ch vorschlagen, sähe es wie folgt aus:
Geht man wie gewohnt strukturiert vor, gibt es keine Departemente. Das Kapitel „Regierung“ nützt da erst mal nichts, wenn nicht höherrangig ein Menüpunkt „Departemente“ zur Verfügung steht. Klickt man trotzdem auf „Regierung“, fehlt „Departemente“ zunächst auch dort.
Man müsse eben die Suchfunktion bemühen, wenn man auf der neuen Website des Kantons etwas nicht finde. So die Instruktion der Obrigkeit in den Schaffhauser Medien. Das war vor über 3 Jahren.
Die Jungen von heute sind ausgesprochen internetaffin und finden mit wenigen Klicks, während wir Älteren noch die Brille zurechtrücken. Aber: Wenn das Gesuchte schlicht nicht vorhanden ist, mündet die Suche im „Google des Kantons Schaffhausen“ in einem traurigen Desaster.
Die Internetseite eines Kantons soll in erster Linie die historisch gewachsenen vorhandenen Strukturen nachempfinden und abbilden. Dann können die Nutzer sich schnell zurechtfinden. Anderswo macht man das etwa so:
Diese Auswahl steht auf stadt-zuerich.ch an alleroberster Stelle der Website. Was dann eben auch der logischen Struktur entspricht.
Die Strukturen sind das Gebilde mit der längsten Lebensdauer, weswegen sie als Gerüst dienen. Hernach werden diese Strukturen mit dynamischen Inhalten unterschiedlicher Lebensdauer gefüllt: mit Funktionen und Aufgaben, Werkzeugen (Formularen) und Amtsstelleninhabern. Nicht umgekehrt.
Die alte Website des Kantons hatte auf diesen ewigen und logischen Regeln aufgebaut und war benutzer- und bevölkerungsfreundlich. Vielleicht war sie aber nicht tauglich für mobile Endgeräte – ein überaus wichtiger Grund für einen Relaunch.
Mit der neuen SH-Website hingegen wurden und werden diese Grundsätze nicht berücksichtigt. Der Bevölkerung und den Verwaltungsangestellten wird auch hier vorgeführt, dass man sie nicht nur nicht ganz ernst nimmt, sondern dass auch zu wenige Kompetenzen innerhalb des Kantons bestehen. Abgebildet wird mehr oder weniger chaotisch. Unehrlichkeit kann man der Website somit nicht vorwerfen ;-)
Gebilde wie ein Bund oder Kanton müssen – wie auch die Rechtssammlung oder ein Fahr- oder Verkehrsnetzplan – zunächst systematisch und strukturell abgebildet werden. Die chaotische Suche kommt nur bei Suchmaschinen vor, welche aus nicht verknüpften, nicht strukturierten Quellen schöpfen. Wenn es einen „was–man-mit-einem-einzigen-Tastendruck-alles-falsch-machen-kann“ – Knopf gibt: Der Kanton hat ihn gedrückt an dem Tag, als er sein Webportal nicht als Struktur, sondern überaus bescheiden als „Google des Kantons Schaffhausen“ neu erfinden wollte.
Zurück zu unserer Schulstunde: Die Schüler würden Verschwendung von Steuergeldern und Ignoranz der staatsbürgerlichen Grundbedürfnisse der Bevölkerung feststellen. Die Lehrkraft käme in Erklärungsnot: „Feudalismus“, „Pseudo-Kanton“ - wie erkläre ich es den Schülern? Man wird halt schon früh politverdrossen.
Soviel Desinteresse an einem wichtigen Teilbereich des Grundauftrags ist weder von „Dienst nach Vorschrift“ noch von „Kunstfreiheit“ gedeckt. Nicht im Ansatz. Dieser Mangel an Kompetenz, Besonnenheit und Motivation ist nicht hinnehmbar, und er ruft Resignation hervor. Dieser - und viele andere Zustände - sind inakzeptabel.
So wie der Kanton sich mit der „Website der Ärgernisse“ präsentiert, genauso wird er von Bevölkerung und Aussenstehenden auch wahrgenommen. Jeden einzelnen Tag. Auch ausserkantonale Instanzen bezeichnen unsere Website als „nervig“.
Ein Regierender allein kann und muss nun nicht alles wissen. Er braucht seinen Stab, auf den er sich verlassen kann. Und an diesen erweiterten Schnittstellen – den unendlichen Geldquellen der öffentlichen Hand - docken wie durch Wunderhand mehr oder weniger begabte -, mehr oder weniger lautere, mehr oder weniger zimperliche Dienstleistungserbringer an.
Aus verschiedenen Anlässen kann man zwar einem Regierungsrat mangelnde bzw. komplett fehlende Aufsicht vorwerfen. Rechts beisst Links weg und umgekehrt. Man kann seinen Rücktritt fordern. Aufsicht funktioniert in diesem Kanton grundsätzlich mässig oder nicht. Das kann ich nach über zwanzig Jahren Erfahrung als mittlere Randbemerkung© hier loswerden. Aufsicht ist gemäss Leitfaden der Staatskunde aber keine Einbahnstrasse: Dass das Parlament so eine Website seit Jahren abnickt, sendet keine vertrauensbildende Signale.
Welche weiteren Anreize muss die Bevölkerung schaffen, damit die Schaffhauser Obrigkeit ihren wesentlichen Verpflichtungen nachkommt? Oder wären Sanktionen das zielführendere Mittel? Geschwärzte Steuererklärungen vielleicht?
Mit freundlichen Grüssen
Leonhard Fritze
PS:
Die Latenzzeit (Ladezeit) der neuen Website ist seit dem ersten Tag unterirdisch. Bedauerlicherweise stört das nur die Benutzer, nicht aber den Kanton. Offenbar haben wir tatsächlich keine Departemente…